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Freitagabend

Traute Runde. Ein Freitagabend. Man kann der Woche Last hinter sich lassen. Auch wenn niemand mehr von ihnen einer Arbeit nachgeht. Aber alt sein ist auch nicht gerade einfach. Sie haben viele Reisen unternommen. Wenn es die Arthrose zulässt, reisen sie noch immer. Weil doch das Fliegen auch für Rentner erschwinglich ist. Und sie finden es toll, dass Schüler auf die Straße gehen. Den Klimawandel muss man schließlich ernst nehmen. Auch wenn die Biotonne eklig stinkt. Es muss etwas getan werden.


Kurzfristig einigt man sich darauf, noch eine Flasche Wein aufzumachen. Und dann erzählt jemand von Irland, und dass das Frühjahr die beste Zeit für einen Besuch ist, weil alles in Blüte steht. Flüge gibt es ja schon unter 100 € bei Billig-Anbietern. Also da muss man unbedingt noch mal hin. Oder doch lieber nach Venedig fliegen, um den runden Geburtstag zu feiern? Vielleicht ja nicht gerade an einem Freitag, wenn die Schüler auf der Straße sind. Nicht, dass man noch den Flug verpasst.

Ballast abwerfen

Irgendwie war es einfach lästig. Man konnte nicht mehr in ein anderes Land reisen, ohne dass man gleich von den Medien daran erinnert wurde, dort die Menschenrechte einzufordern. Und natürlich die Pressefreiheit. Kann man sich jetzt endlich sparen. Zumindest was letztere betrifft. Und die Gelegenheit war günstig. Wenn man schon einen Staatspräsidenten da hat, der auf beides pfeift, dann kann man dem doch mal einen kleines Gastgeschenk machen. Und er hat sich richtig gefreut, als bei der Pressekonferenz ein akkreditierter Journalist abgeführt wurde. Da fühlte er sich wie zu Hause.

Wenn er gewusst hätte, dass bereits im Vorfeld ein Journalist befragt wurde, welche Fragen er denn dem Herrn Präsidenten zu stellen vorhabe, hätte er sich natürlich noch mehr gefreut. Aber auf jeden Fall wird er die kleine Geste zu schätzen wissen, dass man jetzt auch hierzulande endlich die Pressefreiheit neu definiert. Und deutsche Politikerinnen und Politiker können jetzt ins Ausland reisen und müssen nicht mehr so nachhaltig die Pressefreiheit anmahnen. Wäre ja unsinnig, bei anderen einzufordern, was man zu Hause auch nicht mehr so eng sieht.

Goethe irrt

Johann Wolfgang soll ja behauptet haben, dass das Reisen bildet. Darauf kam er wohl nur, weil er nicht Gelegenheit hatte, in einem Flughafen An- und Abreisende zu beobachten, ihren Gesprächen zu lauschen. Ich hatte jetzt wieder einmal und aufgrund einer erklecklichen Verspätung die Möglichkeit dazu, weshalb ich nun auch überzeugt bin, dass Oscar Wilde ebenfalls gewaltig irrte, als er sagte, „Reisen veredelt den Geist und räumt mit allen anderen Vorurteilen auf“.

Denn nachdem sich der Großteil der Gespräche darum drehte, warum es jetzt wieder einmal so lange mit dem Gepäck gedauert hat, ob es in erreichbarer Nähe einen Imbiss gibt, und wo denn bitte der Abholdienst des Hotels bleibt, hatte ich eher den Eindruck, dass das Edle wohl auf dem Gepäckband verloren gegangen ist. Wohingegen Vorurteile bestens in den Koffern verstaut waren.

Nicht ganz richtig lag allerdings auch Erich Kästner, für den die etwas einfacheren Menschen in fremden Ländern angeblich die Museen besuchen. Wohingegen die Klugen in „die Tavernen“ gehen würden. Wer den Reiseberichten von Mallorca-Heimkehrern lauscht, kann das auf gar keinen Fall bestätigen. Eher ist man geneigt, Kurt Tucholsky zuzustimmen, der der Ansicht war, dass man als deutscher Tourist im Ausland vor der Frage stünde, „ob man sich anständig benehmen muss oder ob schon andere deutsche Touristen dagewesen sind“.

Aber immerhin hat der französische Existenzialist Alber Camus Weitblick bewiesen. „Früher zeichnete man auf Reisen, um sich erinnern zu können, wo man war. Heute filmt man auf Reisen, um zu erfahren, wo man gewesen ist.“ Eine Behauptung, die inzwischen von einem Großteil der mehr als 50 Millionen Deutschen und mehr als einer Milliarde Menschen weltweit, die alljährlich eine Reise machen, tagtäglich aufs Neue bestätigt wird. Weshalb man etwas provokant geneigt ist, dem großen Meister der Literatur und des Reisens, Goethe, in einem anderen Punkt Recht zu geben. Er hat nämlich auch gesagt: „Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen.“ Man darf sich fragen, auf welchem Wort die Betonung liegt.

Rollende Ungeheuer

Dass diese Dinger praktisch sein können, bezweifle ich ja gar nicht. Aber sie nerven. Akustisch wenn sie sozusagen unterwegs sind. Und dann am meisten auf Kopfsteinpflaster und ähnlichem Gehweg- oder Straßenbelag. Doch auch in Einkaufspassagen oder in Ankunft- und Abflughallen machen sie sich auf eine Weise bemerkbar, auf die ich verzichten könnte.

Da fliegen wir im All herum, haben sprechende Kühlschränke und kommunizierende Blechbüchsen, die unsere Wohnungen ausspionieren können. Sind aber nicht in der Lage rollende Koffer respektive Koffer mit Rollen so auszustatten, dass man nicht Kopfschmerzen oder sogar einen Tinnitus bekommt.

Zudem hat das Problem mittlerweile auch eine räumliche Dimension bekommen. Bevor Tesla damit anfing, den Weltraumflug für Zivilisten anzupeilen, nahm man einen Koffer zur Hand, wenn man auf Reisen ging. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass ein solcher, sofern er Rollen hat, auch Verwendung findet, wenn jemand zum Einkaufen, zur Arbeit oder in die Schule oder Universität geht.

Und wenn jetzt jemand sagt, dass wir in Zeiten von Terror, Populismus, Flüchtlingskrisen, Paradies Papers, blondierten oder pubertierenden Machthabern und Lieferschwierigkeiten beim iPhone X weiß Gott andere Probleme haben, gebe ich ihm vollkommen recht. Aber warum soll man nicht einmal damit anfangen zu versuchen, Probleme zu lösen, die lösbar sind. Und endlich lautlos rollende Koffer entwickeln.

Schönheitstipps

Die Lage ist ernst. Es gibt kaum noch Hinweise, dass das tägliche Gefasel eines alten und latent depressiven Mannes irgendjemand interessiert. Ein Blick auf erfolgreiche Blogger zeigt allerdings auch, dass mit lediglich mehr oder minder schwerem Gedankengut im Internet kein Blumentopf zu gewinnen ist – geschweige denn Klicks. Es sei denn, man hat schon anderweitig reüssiert. Es sieht also alles danach aus, dass in meiner Altersgruppe und mit meinem Background nur der Um- respektive Einstieg bei den LiebhaberInnen der Küche bleibt, vielleicht wären Reisen auch nicht schlecht. Die ich mir allerdings nicht leisten kann. Und wer interessiert sich schon für einen Ausflug zu den Supermärkten von Castrop-Rauxel.

Kurzzeitig habe ich auch schon daran gedacht, mir einfach ein neues Profil zu geben, inklusive der Fotos einer Tochter eines Bekannten. Und dann mit Schönheitstipps und must-haves mein Glück und die Klicks zu suchen. Gegen entsprechendes Entgelt wäre sie sogar dazu bereit. Aber würde das nicht alles konterkarieren, was bisher in diesem Blog zu lesen war?  War dieser Blog nicht auch das Versprechen, nach der Wahrheit zu suchen? Selbst dort, wo es weh tut? Nämlich bei mir selber. Gäbe es noch einige Menschen, die den Blog lesen, so würde ich am liebsten und ganz besonders in diesen Zeiten, da wir wieder einmal die Wahl haben, dazu aufrufen, mir klipp und klar zu sagen: Gib es auf! Oder vielleicht „mach‘ weiter so“?

Endlich Urlaub

Es soll ja Menschen geben, die nicht in Urlaub fahren können. Weder an den Gardasee noch nach Tibet oder zu den Osterinseln. Weil sie entweder alt und gebrechlich sind. Oder einfach kein Geld für eine Urlaubsreise haben. Und angeblich soll es dann auch noch ein paar wenige Menschen geben, die einfach nicht wegfahren wollen. Weil es ihnen zu Hause so gut gefällt. Ich persönlich kenne zwar niemanden, der das behauptet, aber wollen wir es einfach mal glauben. Alle anderen fahren jedenfalls in den Urlaub.

Aber warum verbringen Menschen Stunden im Stau? Warum bilden sie lange Warteschlangen an den Schaltern auf dem Flughafen? Riskieren oft auch ihre Ehe? Einfach nur, weil Goethe mal behauptet hat, dass Reisen bildet? Oder Immanuel Kant schrieb, es entwöhne von allen Vorurteilen des Volkes, des Glaubens, der Familie und der Familie? Wobei letzteres sich ja schon als höchst unwahrscheinlich erwiesen hat, denn schließlich sind wir Deutschen nicht nur Export- sondern auch Reiseweltmeister. Oder zumindest in der Spitzengruppe. Weshalb es eigentlich ja kaum noch Vorurteile geben dürfte.

Aber der Trend ist ja unüberseh- und hörbar eher rückläufig. Anstatt dass Reisen tödlich sind für Vorurteile, wie von Mark Twain behauptet, sind diese quicklebendig und vermehren sich wie Springkraut. Und ganz nebenbei arbeitet Reisen auch noch kräftig auf den Klimawandel hin. Weshalb sich die Vermutung aufdrängt, dass der Bildungsanspruch und die Entwöhnung von Vorurteilen eher zweitrangig geworden sind. Wie sich auch hier in unserem idyllischen Resort mit Pool und drei Restaurants in orientalischer Architektur zeigt, hat wohl eher Kurt Tucholsky Recht. Er sagte, dass man als deutscher Tourist im Ausland vor allem vor der Frage stehe, „ob man sich anständig benehmen muss oder ob schon andere deutsche Touristen dagewesen sind“.Orientalische Architektur

Ab in den Urlaub

Vielleicht ist da ja ein Zusammenhang. Noch nie war die Suche nach dem Ich und damit verbunden die Sucht nach der Individualität so sehr Massensport als zu Ende des vergangenen Jahrtausends und zu Beginn des neuen Jahrhunderts. Massiv und gewinnträchtig unterstützt von einer ganze Riege von Fachleuten aus unterschiedlichen Disziplinen, was sich alleine schon an den Auflagen entsprechender Literatur und der Zuschauerzahlen diesbezüglicher TV-Sendungen ablesen ließ. Und den boomenden Angeboten für Individual-Reisen.

Einer der daraus resultierenden Trends für die oder den Einzelnen, die oder der sich auch als Tourist als Individuum fühlen wollte: Der Geheimtipp! Von Millionen als solcher gierig aufgesogen und für sich vereinnahmt. Weshalb es dann zehntausende oder hunderttausende waren, die sich auf der Suche nach dem individuellen Erlebnis mit zehntausenden oder hunderttausenden zusammenfanden, die auch auf der Suche nach dem individuellen Erlebnis waren.

Wir sind inzwischen an dem Punkt angekommen, dass vor allem das reisende Individuum eigentlich machen kann, was es will, es wird stets auf eine große bis sehr große Anzahl von Individuen stoßen, die zumindest als Reisende noch Individuum sein wollen. Was man nicht gleich unter dem Aspekt Schizophrenie abhaken sollte. Wir sind viel eher Opfer der Möglichkeiten. Weil es sich früher selbst die Kassiererin und der Büroangestellte einfach nicht leisten konnten, malerische Dörfer auf Fuerteventura oder in den Anden zu erkunden. Dazu musste man Akademiker sein oder zumindest ein Lehrerehepaar.

Und jetzt sind es auch nicht mehr nur und vorrangig Europäer und Nordamerikaner, die unterwegs sind zu fernen Gestaden. Die restlichen Kontinente sind auch noch dazugekommen. Und alle zusammen treten den Beweis an, dass Menschen eigentlich doch nur Herdentiere sind. Und sich insbesondere als Reisende eigentlich liebend gern dem Strom der Lemminge anschließen. Um sich nach einem gemeinsamen Tag vor Baudenkmälern oder besonders beeindruckender Natur in Lokalen wiederzufinden, in denen es das gleiche Essen gibt wie zu Hause. Die Suche von Reisenden nach Individualität ist Massenphänomen geworden. Mit freundlicher Unterstützung von Tripadvisor und Ab-in-den-Urlaub.de.