Vielleicht sollte man sich einmal vorstellen, dass Geschwister schon als Kleinkinder getrennt werden und in verschiedenen Familien aufwachsen. Familien, die zu diesem Zeitpunkt nicht nur räumlich getrennt sondern auch in völlig unterschiedlichen Situationen leben. Auch wenn sie früher, bevor sie die Kinder in ihrer Obhut hatten, Tür an Tür wohnten, gemeinsam viel Zeit verbrachten, vielleicht ein Herz und eine Seele waren. Ja und dann, nach mehr als 40 Jahren, werden diese Geschwister wieder vereint. Von heute auf morgen sollen sie wieder zusammen leben. Zwar nicht unbedingt in derselben Wohnung. Aber Tür an Tür. Und sie sollen jetzt so tun, als ob sie eine große Familie wären. Mit ihren jeweiligen Kindern. Den langjährigen Freunden.
Wer Kinder hat, der weiß, wie unterschiedlich Geschwister sein können. Wer eine Schwester hat, einen Bruder, oder sogar mehrere von beidem, der sieht zwar durchaus auch gewisse Gemeinsamkeiten. Aber auch jeden Tag, wie anders die anderen Geschwister sind. Daran ändert auch der Spruch, dass Blut dicker wäre als Wasser, nichts. Schließlich sollte man nicht vergessen, dass in Familien öfter Blut fließt als anderswo.
Ebenso dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass Kinder von äußeren Umständen, von Menschen außerhalb der Familien, beeinflusst werden. Die Entwicklung also noch unterschiedlicher verläuft, wenn sie in anderen Verhältnissen, in anderen wirtschaftlichen Situationen aufwachsen. Weshalb man sich wirklich fragen muss, wer um Himmels Willen daran glauben kann, dass aus einem Geschwisterpaar, dass voneinander getrennt und in völlig anderen Welten aufgewachsen ist, plötzlich, von heute auf morgen, ein Herz und eine Seele werden könnte.
Da kann man ebenso gerne glauben, dass sich Menschen aus fernen Ländern, mit anderer Religion und einem ganz anderem Weltbild, mit staatlich verordneten Programmen in eine Gesellschaft integrieren lassen. Wir können uns darüber freuen, dass uns die Zusammenführung der beiden Kinder zumindest einen Feiertag beschert hat. Aber wir sollten uns ansonsten keiner Illusion hingeben. Und über das Wort Einheit kann man dann ja vielleicht in vier bis fünf Generationen nachdenken. Falls die Geschwister bis dahin nicht schon wieder verschiedene Wege eingeschlagen haben. Vielleicht sollte die Politik inzwischen über ein Integrationsprogramm nachdenken.